In diesem Monat setze ich die Reihe über Simmerings Wohnbauten fort, indem ich einen Transformationsprozess beleuchten möchte, der nicht zuletzt auch die allmähliche Entwicklung des Bezirks vom ärmeren Vorstadtgebiet zum Arbeiterbezirk nachzeichnen soll.
Auf einer ursprünglich landwirtschaftlich genutzten Fläche am Südosthang des Laaerberges [1] entstand 1915 auf Gründen der Pfarre von St. Laurenz im Zuge einer Kriegsanleihe die Siedlung Hasenleiten als k.u.k. Kriegsspital („Notspital IV“), bestehend aus 54 Baracken sowie einer Notkirche in Form einer orthodoxen Ostkirche (im Volksmund „Russenkirche“ genannt). [2] Damit war die medizinische Versorgung sowie die seelsorgerische Betreuung der verwundeten Soldaten des Ersten Weltkrieges sichergestellt. [3] Dieses Lazarett konnte sich mittels Glashäusern, eines Geflügelhofes, Transportmittel für Material des Spitalbetriebs, eigener Stromversorgung, sowie Werkstätten und Feuerlöschdepot weitgehend autark versorgen. [4] Darüber hinaus finden sich auch Aufzeichnungen über eine Apotheke, einen Zahnarzt, Wächter- und Arrestgebäude, sowie einen Schweinestall. Aufgrund der Vielzahl an unterschiedlichen medizinischen Einrichtungen wurden hier bis Mai 1919 rund 95.000 zumeist Kriegsverwundete versorgt.
Kriegsspital Hasenleiten mit Baracken und Notkirche, deutlich zu erkennen ist auch der die Anlage umgebende Holzzaun mit Tor.
Bildnachweis: Bezirksmuseum Simmering.
Barackensiedlung Hasenleiten, 1934.
Bildnachweis: Bezirksmuseum Simmering.
Nach Schließung der letzten medizinischen Einrichtung im Jahr 1920 erfolgte unter Bezirksvorsteher Eduard Pantucek (1921-1934, [5] -> 11., Pantucekgasse) die Adaptierung der nun nicht mehr benötigten Lazarettstadt in eine Notunterkunft (Barackensiedlung) mit 136 Wohneinheiten für erwerbslose und/ oder ausgesteuerte Familien [6]. Das Grundschema der einzelnen Baracken war einfach: jeder Block umfasste eine Fläche von 80 x 13m, [7] die jeweiligen Wohneinheiten wurden aus drei hintereinander liegenden Räumen gebildet (Küche, Wohn-Schlafraum, Abstell- oder Arbeitsraum, fallweise auch untervermietet). Verbunden waren die Wohneinheiten über einen Gang mit Wasserleitung und Toiletten. Angrenzende Nutzflächen wurden zum Anbau von Obst und Gemüse oder zur Kleintierhaltung verwendet.
In den folgenden Jahren wurde die Siedlung um einen Kindergarten und eine Bibliothek, sowie einen Raum für Theateraufführungen erweitert, [8] die Feuerwehrbaracke zur Hälfte vom Arbeiter-Turnverein mitbenutzt. 1935 waren am gesamten Areal 3.500 Personen verzeichnet, davon rund 2.000 Kinder. [9] Von den 722 hier wohnhaften Familienvätern gab es nur 52 mit aufrechten Arbeitsverhältnissen. [10] Als interessantes Detail soll dabei noch erwähnt werden, dass es sich bei einem Bewohner der damaligen Barackensiedlung um Erzherzog Leopold Ferdinand Salvator handelte, der vor allem als Schriftsteller unter dem Pseudonym Leopold Wölfling bekannt geworden war. [11]
Hasenleitensiedlung im Bau, um 1950. In der linken Bildhälfte ist über den Dächern noch die Spitze der Barackenkirche sichtbar.
Bildnachweis: Bezirksmuseum Simmering.
Ab 1937 wurde eine umfangreiche Sanierung der Siedlung unter der Leitung der Stadt Wien (des damaligen „schwarzen Wien“ im Austrofaschismus) begonnen, die Baracken wurden abgerissen und an ihrer statt bis 1939 zweigeschoßige Neubauten im Sinne einer Gartenstadtsiedlung nach Plänen von Morzin Aemilian Servé [12] errichtet. [13] Durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen und in dieser Zeit zur Unterbringung für Delogierte vor der Deportation genutzt, [14] kam es durch ein Gemeinschaftsprojekt mehrerer Architekten wie Oskar Heymann und Friedrich Punzmann [15] erst ab 1949/50 zur Schließung der letzten Baulücken. Somit entstand jene Form der Wohnanlage, wie sie sich heute noch präsentiert. [16]
Hasenleitensiedlung 2025. Zweigeschoßige Baukörper mit öffentlichem Grünbereich.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Ladislaus Hruska, Kirche „Heiliger Johann Baptist Maria Vianney“, 1953-59. Rechts angrenzend das Pfarramt mit einem Caritas-Pflegedienst für den 11. Bezirk.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan
Rund zehn Jahre später, im Dezember 1959 konnte nach sechsjähriger Bauzeit auch eine neue Kirche (Hasenleitengasse 16, errichtet von Ladislaus Hruska als einschiffiger Ziegelbetonbau) durch Kardinal Franz König eingeweiht werden, [17] angrenzend an diesen Baukomplex befindet sich heute ein Kindergarten. Die Barackenkirche am Albin-Hirsch-Platz brannte im Zuge von Demontagearbeiten im Dezember 1961 ab. [18]
Orientierungsplan der Siedlung Hasenleiten heute.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Die heutige Anlage umfasst den von der Lorystraße durchschnittenen Albin-Hirsch-Platz, auf dem sich in U-förmigen ein- bis dreigeschoßigen Trakten infrastrukturelle Einrichtungen wie eine Trafik, ein Gasthaus, ein Friseur sowie eine Arztpraxis befinden. [19]
Trafik an einer Ecke des Albin-Hirsch-Platzes.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Wenngleich sich die Gesamtanlage, von den Vorgärten und Balkonen abgesehen, recht schmucklos präsentiert, stechen doch einige wenige beachtenswerte Architekturdetails hervor, wie etwa die Rundpfeiler an den Durchgängen, die aufgrund ihrer dominanten Rahmung einen klassizistischen Anklang erkennen lassen. [20]
Durchfahrt Albin-Hirsch-Platz/ Strachegasse.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Der Rest der Anlage bildet sich neben leicht geöffneten Block-Randbebauungen im Bereich Lorystraße und Simmeringer Hauptstraße aus elf in Zeilenbauweise konzipierten, zwischen Zamenhofgasse und Am Kanal liegenden dreigeschoßigen Häusern mit glattem Wandverputz sowie vorspringenden Balkonen und ebenerdigen Vorgärten. [21] (siehe auch Abb. Orientierungsplan.) Durch die hier vorgenommene Adaptierung wird der Wandel städtebaulicher Leitbilder im heutigen Erscheinungsbild deutlich erkennbar. [22]
Ansicht eines Wohnblocks mit Vorgärten.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Heute umfasst die Anlage 1214 Wohnungen. Ein prominenter ehemaliger Bewohner dieser Anlage ist Herbert Prohaska. Heute als Chefanalytiker im ORF bekannt war er ehemaliger Teamspieler des Österreichischen Fußball-Nationalteams (1974-1989), Nationaltrainer des ÖFB (1993-1999) sowie Stammspieler der Wiener Austria (1972-1980 und 1983-1989). Erinnerungen ehemaliger Mitschüler sowie von ihm selbst berichten nicht nur von seiner Leidenschaft für den Fußball, sondern auch von (s)einer Kindheit in der Hasenleitensiedlung, die zu jener Zeit ob ihres Rufs oftmals auch als „Klein-Chicago“ bezeichnet wurde. [23]
Beitragersteller: Thomas Pelikan
[1] Renate Weinmüller, 75 Jahre Hasenleiten, in: Simmeringer Museumsblätter Nr. 35/ 1990, S. 239.
[2] https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Notkirche_Hasenleiten. Der Name ‚Russenkirche‘ bezog sich allerdings auf die allgemeine Annahme, diese wäre von russischen Zwangsarbeitern erbaut worden. Tatsächlich waren neben österreichischen auch verbündete bulgarische Soldaten damit beschäftigt.
[3] https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Hasenleiten.
[4] Renate Weinmüller, 75 Jahre Hasenleiten, in: Simmeringer Museumsblätter Nr. 35/ 1990, S. 240-241.
[5] https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Eduard_Pantucek.
[6] https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Hasenleiten.
[7] Renate Weinmüller, 75 Jahre Hasenleiten, in: Simmeringer Museumsblätter Nr. 35/ 1990, S. 243-244.
[8] Renate Weinmüller, 75 Jahre Hasenleiten, in: Simmeringer Museumsblätter Nr. 35/ 1990, S. 245.
[9] https://www.wienerwohnen.at/hof/148/Wohnhausanlage-Hasenleiten.html.
[10] Renate Weinmüller, 75 Jahre Hasenleiten, in: Simmeringer Museumsblätter Nr. 35/ 1990, S. 246.
[11] Renate Weinmüller, 75 Jahre Hasenleiten, in: Simmeringer Museumsblätter Nr. 35/ 1990, S. 244.
[12] https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/St%C3%A4dtische_Wohnhausanlage_Hasenleiten.
[13] https://www.wienerwohnen.at/hof/148/Wohnhausanlage-Hasenleiten.html.
[14] https://www.wienerwohnen.at/hof/148/Wohnhausanlage-Hasenleiten.html.
[15] https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/St%C3%A4dtische_Wohnhausanlage_Hasenleiten.
[16] https://www.wienerwohnen.at/hof/148/Wohnhausanlage-Hasenleiten.html.
[17] Hans Havelka, zur Geschichte der Pfarre Hasenleiten, in: Simmeringer Museumsblätter Nr. 35/ 1990, S. 249-250.
[18] https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Pfarrkirche_Hasenleiten.
[19] https://www.wienerwohnen.at/hof/148/Wohnhausanlage-Hasenleiten.html.
[20] https://www.wienerwohnen.at/hof/148/Wohnhausanlage-Hasenleiten.html.
[21] https://www.wienerwohnen.at/hof/148/Wohnhausanlage-Hasenleiten.html.
[22] Friedrich Achleitner, Österreichische Architektur. Im 20. Jahrhundert, Band III/1 Wien, 1.-12. Bezirk, St. Pölten/ Salzburg 2010, S. 297.
[23] https://www.wienerwohnen.at/hof/148/Wohnhausanlage-Hasenleiten.html, sowie https://www.youtube.com/watch?v=vrgZ8RC-Rs8, (Min 13:03-14:15)
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